
Ein Anwenderbericht zu Präzisionsmedizin im Kinderkrankenhaus. 70% der genetisch bedingten Erkrankungen beginnen im Kindesalter. Die Care-for-Rare Foundation hat sich diesen kleinen Patienten verschrieben und mit Hilfe der Neo4j Graphdatenbank und KI einen Knowledge Graphen entwickelt. Damit sollen Ärzte am Dr. von Haunerschen Kinderspitals in München die oft schwer zu diagnostizierende Krankheiten schneller erkennen können…
Zum Hintergrund
Der 28. Februar ist internationaler Rare-Disease-Day (Tag der seltenen Erkrankungen). Die Aktion soll Aufmerksamkeit schaffen für die rund 300 Millionen Menschen weltweit, die an seltenen Erkrankungen leiden – 70% der Betroffenen sind danach Kinder. Die Care-for-Rare Foundation unterstützt Ärzte und Wissenschaftler, welche sich diesen kleinen Patienten Tag für Tag widmen. Dabei nutzen beispielsweise die Ärzte des Dr. von Haunerschen Kinderspitals der LMU München einen Neo4j Knowledge Graphen und Künstliche Intelligenz (KI), um schwer zu diagnostizierende Krankheiten schneller zu erkennen.
Die Identifikation einer seltenen Erkrankung gleicht der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. „Selten“ bedeutet, dass nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen von einer Krankheit betroffen sind. Gleichzeitig ist die Zahl der als selten eingestuften Krankheiten mit mehr als 8.000 sehr hoch. Um eine sichere Diagnose treffen zu können, müssen Ärzte bei jedem Patienten und jeder Patientin die individuellen Symptome und Manifestation der Erkrankung mit winzigen genetischen Mutationen, sogenannten Single Nucleotide Polymorphisms (SNPs), in Verbindung bringen.
Die Care-for-Rare Foundation nutzt für diese Art von Präzisionsmedizin eine innovative Kombination aus Graphtechnologie, Künstlicher Intelligenz (KI) und Maschinellem Lernen (ML). Der Clinical Knowledge Graph (CKG) verknüpft genomische Daten, diverse Blut- und Testwerte und den Krankheitsverlauf der Erkrankten, wissenschaftliche Fachliteratur und Informationen zu zugelassenen Arzneimitteln (DrugBank) zu einem einzigartigen Wissenskontext. Das leistungsfähige Datenmodell basiert auf der Graphdatenbank Neo4j.
Medizinischer Wissenskontext im Clinical Knowledge Graph, CKG. (Quelle: Rare-for-Care Foundation/Neo4j).
Technologie-Boost für die Präzisionsmedizin
Im Knowledge Graph finden sich momentan 2.500 erkrankte Kinder. Jeder Patient und jede Patientin ist als Knoten dargestellt, der mit anderen Knoten (z. B. Symptome, Proteine, Phänotypen) verknüpft ist. Auf der Suche nach Korrelationen zwischen Proteinen, Genen und klinischen Symptomen navigieren die Ärzte des Dr. von Haunerschen Kinderspitals in einem Datenmeer von rund 16 Millionen Knoten und 220 Millionen Beziehungen (Stand: Februar 2025). Graph-Algorithmen beschleunigen die Analyse und Interpretation der vernetzten Daten und geben Aufschluss über Zusammenhänge.
Daniel Weiss, Leiter BioIT, Dr. von Haunerschen Kinderspital der LMU München (Quelle: Daniel Weiss).
Kommentar D. Weiss: „Traditionell gilt in der KI-Entwicklung die Regel, dass die Anzahl der Trainingsbeispiele mindestens das Zehnfache der Modellparameter betragen muss. Graph Data Science und Graph Machine Learning durchbrechen dieses Paradigma, indem sie den im Knowledge Graphen entstandenen Kontext nutzen, um effizientere Modelle zu erstellen. In der BioIT haben diese Technologien das Potential, das Forschen und Arbeiten in der Genomik, Proteomik und personalisierten Medizin von Grund auf zu verändern.“
KI ist auf einen großen Datenpool angewiesen
Die Foundation kooperiert aus diesem Grund mit einem internationalen Netzwerk von Ärzten und Wissenschaftlern. Sie ist Deutschlands erste gemeinnützige Stiftung, die sich Kindern mit seltenen Erkrankungen annimmt. In Rahmen des AMIGO Projekts können Forscher an unterschiedlichen Standorten die klinischen und genetischen Daten analysieren und für Diagnosen heranziehen.
Der Dual-Graph-Ansatz sorgt für den Datenschutz: Sensible Patientendaten bleiben vor Ort im Krankenhaus, während ein zweiter, cloudbasierter Graph synthetische Daten zur Entwicklung von KI-Modellen nutzt. Die disziplinübergreifende Zusammenarbeit ist entscheidend, um sowohl die Arbeit im Kinderspital als auch die genomische Medizin generell voranzutreiben.
„Kinder mit seltenen Erkrankungen sind die Waisen der Medizin. Die kleinen Patienten erhalten bei weitem nicht die nötige Aufmerksamkeit von Gesellschaft, Politik und Pharmaindustrie, auf die sie ein Recht haben. Viele haben eine wahre Odyssee im Gesundheitssystem hinter sich und erhalten eine Fehldiagnose nach der anderen, ehe die Krankheit überhaupt richtig diagnostiziert wird“, kommentiert Prof. Dr. Christoph Klein.
Prof. Dr. Christoph Klein, Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik. Dr. von Haunerschen Kinderspital der LMU München (Quelle: Care-for-Rare Foundation). Externer Link > https://www.care-for-rare.org/.
Der Kinderonkologe und -hämatologe hat 2009 die Care-for-Rare Foundation gegründet und ist Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik am Dr. von Haunerschen Kinderspital der LMU München. Ziel der Stiftung ist es, Betroffenen einen schnellen Zugang zu moderner genetischer Diagnostik und zu innovativen Therapieverfahren zu ermöglichen – und das über Ländergrenzen hinweg. Kommentarauszug Prof. Klein: „Der Weg zur Diagnose ist ein Wettlauf mit der Zeit. Die Forschungsanstrengungen müssen hier dringend verstärkt und die internationale Zusammenarbeit gefördert werden. Der Einsatz neuer Technologien wie Graphen und Künstlicher Intelligenz spielt in der Forschung dabei eine immer wichtigere Rolle. Es geht darum, jedem Kind mit einer seltenen Erkrankung eine faire Chance auf Heilung zu geben.“
Knowledge Graphen in der Forschung
Perspektivisch soll deshalb auch die Pharmaindustrie als Partner in das AMIGO-Projekt einbezogen werden. Gesucht sind danach Startups und Unternehmen aus dem Biowissenschaftssektor, die auf die anonymisierte Datenbasis Zugang erhalten. Gemeinsam lässt sich dann die Medikamentenentwicklung sowie die Nutzung bestehender Arzneimittel für neue therapeutische Zwecke (Drug-Repurposing) vorantreiben. Auch Rückschlüsse auf bestimmte Risikofaktoren für seltene Erkrankungen im Erwachsenenalter sind damit grundsätzlich möglich.
Im Life Science- und Pharma-Bereich kommt Graphtechnologie sowohl in der Forschung als auch entlang des kompletten Drug-LifeCycle zum Einsatz – von der Target Priorisierung über das Wirkstoffmanagement und die Dokumentation klinischer Studien bis hin zur Fertigung von Arzneimitteln. Zu den Kunden von Neo4j gehören laut dem Anbieter Biotech-Start-ups (z. B. Basecamp Research), Gesundheitseinrichtungen (z. B. Deutsches Zentrum für Diabetesforschung) sowie internationale Pharmakonzerne (z. B. Novartis, Novo Nordisk und Astra Zeneca).
Dr. Alexander Jarasch, Global Head for Pharma and Life Sciences bei Neo4j (Quelle: Neo4j).
Kommentarauszug Dr. Jarasch: "Um das System „Mensch“ in seiner Gänze zu verstehen, müssen wir die Fülle an Informationen zunächst zu einem Gesamtbild zusammenfügen… Graphdatenbanken sind genau dazu konzipiert: Sie verknüpfen große, heterogene Daten zu einem Wissenskontext, in dem Anwender investigativ forschen und Zusammenhängen nachgehen können. Im Knowledge Graphen werden dabei auch Korrelationen und Muster sichtbar, die vorab nicht bekannt waren.“
Der Clinical Knowledge Graph (CKG) ist Teil der Graphs4Goods Initiative von Neo4j. Der Graph-Experte unterstützt damit Organisationen, zentrale Herausforderungen in der Gesellschaft mit Hilfe von Graphtechnologie zu lösen.
Querverweis:
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